Osteuropaforschung

Osteuropaforschung
Ọst|europaforschung,
 
Ostforschung, die wissenschaftliche Erforschung des europäischen Ostens und Südostens (auch Südosteuropaforschung als Sonderdisziplin) besonders in den Bereichen Kultur, Geschichte, Wirtschaft und Recht. Sie wird in Deutschland an den meisten Universitäten in den Seminaren oder Instituten für ost- und südosteuropäische Sprachen und Kulturen, für osteuropäische Geschichte, für Wirtschaft und Gesellschaft Ost- und Südosteuropas, für Osteuropa-Recht sowie an zentralen außeruniversitären Einrichtungen betrieben. Als eigenständige Fachdisziplin hatte sie sich an der Jahrhundertwende - nicht ohne Blick auf gegenwartsbezogene, nationalpolitische Zielsetzungen des kaiserlichen Deutschland - aus mehr kulturwissenschaftlich angelegten Ergänzungsstudien an den sprachwissenschaftlichen Seminaren (slawische Philologie, orientalische Sprachen) entwickelt. Meilensteine waren die Gründung des Seminars für osteuropäische Geschichte und Landeskunde an der Berliner Universität unter T. Schiemann (1902) und des Wiener Seminars für osteuropäische Geschichte (1907); 1916 folgten das Institut für ostdeutsche (später osteuropäische) Wirtschaft in Königsberg (Pr) und 1918 das Breslauer Osteuropa-Institut. Nach 1945 war in der Bundesrepublik Deutschland ein organisatorischer Neuaufbau notwendig, da die Mehrzahl der bisherigen Forschungseinrichtungen im östlichen Deutschland gelegen waren. Eine fruchtbare institutionelle Pluralität ergab sich dabei aus dem konkurrierenden Nebeneinander landes- und bundesgeförderter Einrichtungen, die sich in ihren Arbeitsschwerpunkten nur lose seit 1953 über einen »Ausschuss (seit 1957: Koordinierungsausschuss) für Osteuropaforschung« gegenseitig abstimmten. Seit 1974 wurde in den bundesgeförderten Einrichtungen eine ressortorientierte Zuordnung zu einzelnen Bundesministerien vorgenommen. Eine Neustrukturierung der Einrichtungen zur Osteuropaforschung ist geplant. - In der DDR gab es zwar die Osteuropaforschung nicht als Disziplin, die Beschäftigung mit den osteuropäischen Ländern (schwerpunktmäßig mit den Sprachen und der Geschichte) war aber fester und umfangreicher Bestandteil von Forschung und Lehre im universitären Bereich; als außeruniversitäre Einrichtung bestand z. B. das »Institut für Ökonomie und Politik sozialistischer Länder«. - In den Jahren nach dem politischen Umbruch von 1989/90 entwickelte sich die Transformationsforschung zu einem Schwerpunkt der Osteuropaforschung.
 
Zu den wichtigsten zentralen Einrichtungen (mit den entsprechenden Fachorganen) zählen: das Südost-Institut München (gegründet 1930) mit den »Südostforschungen« (1940 ff.; früher unter anderen Titeln) und »Südosteuropa. Zeitschrift für Gegenwartsforschung« (1982 ff.; früher unter anderem Titel) sowie verschiedene Schriftenreihen, das Johann-Gottfried-Herder-Institut in Marburg (gegründet 1950 als zentrale Einrichtung des Herder-Forschungsrates) mit der »Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung« (1952 ff.) und weiteren fachwissenschaftlich orientierten Reihen, das Osteuropa-Institut an der Freien Universität Berlin (Zentral-Institut, gegründet 1951) mit mehreren Publikationsreihen, das Osteuropa-Institut München (gegründet 1952) mit den »Jahrbüchern für Geschichte Osteuropas« (Neue Folge 1953 ff.; als Fortsetzung der Breslauer »Jahresberichte für Kultur und Geschichte der Slaven«, 1924 ff., beziehungsweise der »Jahrbücher für Geschichte Osteuropas«, 1936-41), das Collegium Carolinum, Forschungsstelle für die böhmischen Länder in München (gegründet 1956) mit der Zeitschrift »Bohemia. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der böhmischen Länder« (1960 ff.; früher unter anderen Titeln), das Institut für Ostrecht in München (gegründet 1957) mit dem »Jahrbuch für Ostrecht« (1960 ff.), das Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln (gegründet 1970) mit den »Berichten des Bundesinstituts. ..« (1967 ff.) und weiteren Publikationen, das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt (gegründet 1977), die Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen (Gemeinde Schäftlarn), das Geisteswissenschaftliche Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas in Leipzig (gegründet 1995) und das Institut für Transformationsstudien in Frankfurt (Oder). Außerdem unterhalten die großen Wirtschaftsinstitute eigene Osteuropa-Abteilungen, u. a. das HWWA - Institut für Wirtschaftsforschung in Hamburg mit der Schriftenreihe »HWWA-Reports« (1971 ff.), das Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin (gegründet 1925 als Institut für Konjunkturforschung).
 
Mit Geschichte und Gegenwart der Ostkirchen befassen sich u. a. das Ostkirchliche Institut der Deutschen Augustinerprovinz in Würzburg (gegründet 1936, neu gegründet 1952) mit den »Ostkirchlichen Studien« (1952 ff.) und der Schriftenreihe »Das östliche Christentum« (1934 ff., Neue Folge 1947 ff.), das Ostkirchen-Institut an der Universität Münster (gegründet 1957) mit der Schriftenreihe »Kirche im Osten« (1958 ff.), das Katholische-Ökumenische Institut der Universität Münster und das 1966 eingerichtete Seminar für Geschichte und Theologie des christlichen Ostens an der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg mit der Reihe »Oikonomia« (1974 ff.).
 
Vermittlungsaufgaben zwischen den Fachwissenschaften und einer breiteren Öffentlichkeit übernehmen die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (gegründet 1913 als Deutsche Gesellschaft zum Studium Russlands, seit 1918 Deutsche Gesellschaft zum Studium Osteuropas mit Sitz in Berlin beziehungsweise Stuttgart) mit den Zeitschriften »Osteuropa. Zeitschrift für Gegenwartsfragen des Ostens« (1951 ff.; früher unter anderem Titel), »Osteuropa-Recht« (1955 ff.) und »Osteuropa-Wirtschaft« (1956 ff.) sowie die Südosteuropa-Gesellschaft (gegründet 1952 mit Sitz in München) mit den »Südosteuropa-Mitteilungen« (1975 ff.; früher unter anderem Titel) und mehreren Schriftenreihen. - In Österreich wurde 1958 das Österreiche Ost- und Südosteuropa-Institut gegründet (Sitz Wien). In der Schweiz wirkte 1959-94 das Schweizerische Ost-Institut (SOI); 1994 entstand in Bern das »Forum Ost-West«.
 
Internationale Zusammenschlüsse der Osteuropaforschung sind der International Council for Central and East European Studies (ICCEES, gegründet 1974, mit dem Informationsorgan »International Newsletter«, 1976 ff.), der im Abstand von fünf Jahren Weltkongresse organisiert, und als Regionalkommission der UNESCO die »Association internationale d'études du Sud-est européen« (gegründet 1963, Bukarest).
 
 
Dt. Ostforschung. Ergebnisse u. Aufgaben seit dem ersten Weltkrieg, hg. v. H. Aubin u. a., 2 Bde. (1942-43);
 M. Burleigh: Germany turns eastward. A study of »Ostforschung« in the Third Reich (Cambridge 1988);
 K. von Beyme: Systemwechsel in Osteuropa (1994);
 
Beyond Soviet studies, hg. v. D. Orlovsky (Washington, D. C., 1995);
 
Hb. Osteuropa-Kontakte, bearb. v. P. Fischer (21996).

Universal-Lexikon. 2012.

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